1x1 der hormonellen Kontrazeption

Inhaltsverzeichnis

Gynäkologisches Ambulatorium

  • Ausführliche Anamnese
    • Vorerkrankungen (Lebererkrankungen, kardiovaskuläre oder thromembolische Erkrankungen, Gerinnungsprobleme, Migräne, etc.)
    • Voroperationen (Magen-Bypass, chronische Darmerkrankung, etc.
    • Noxen (Nikotin u.a.)
    • Medikamente (auch pflanzliche Präparate, Interaktionen? Ggfs. Interaktionscheck Compendium)
    • Gynäkologisch (Zyklus, LP, Schwangerschaften)
    • Familienanamnese (Thromboembolien, CVI, KHK, Blutgerinnung, u.a.)
  • Präferenzen der Patientin
    • Bisherige Erfahrungen
    • Oral, trans-/intradermal, vaginal, IUD
    • Kombi- vs. Gestagen-Monopräparat
    • Sicherheitsbedürfnis (Pearl-Index)
    • Zusatznutzen der Verhütung (Zyklusregulation, Reduktion Dys-/Hypermenorrhoe, antiandrogener Effekt, etc.)
  • Status
    • BMI und Blutdruck-Messung, Leberwerte
    • Grosszügig gynäkologischer Status inkl. Pap und Mamma-Untersuchung, ggfs. Urin und SST im Urin
    • Ggfs. orientierender internistischer Status
  • Vorlagen / Handouts
    • SGGG CHECKLISTE für Erst- oder Neuverschreibung Stand 2021 (abgeben)
    • SGGG Informationsblatt für Anwenderinnen kombinierter hormonaler Kontrazeptiva Stand 2023 (abgeben)
    • Infomaterial zu den verschiedenen Methoden der Kontrazeption (bereithalten/abgeben)
    • SGGG Handout für Ärzte zur Verschreibung kombinierter hormonaler Kontrazeptiva Stand 2013 (konsultieren)
    • Expertenbrief Nr. 79 zum Thromboembolierisiko unter hormonaler Kontrazeption Stand 2023 (konsultieren)
  • Antiandrogene Wirkung
  • Jedes Präparat mit EE hat einen antiandrogenen Effekt (via SHBG-Erhöhung).
  • Das Gestagen kann einen zusätzlichen antiandrogenen Effekt bewirken (s. Tabelle oben).
  • Bei Wunsch nach antiandrogenem Effekt (Akne/Haut, Haarausfall, Hirsutismus, etc.) somit Präparat mit EE und antiandrogenem Gestagen empfohlen (Cave: Risiken je Gestagen verschieden).
  • Siehe auch: Hyperandrogenämie
  • Sonstige Effekte
    • Das Gestagen im Verhütungs-Präparat sorgt für die antikonzeptive Wirkung. Keine Verhütung ohne Gestagen.
    • Gestagene haben eine unterschiedlich stark suppressive Wirkung auf die Gonadotropine und eine individuelle Ovulationshemmdosis (s. Tabelle unten).

Partialwirkungen der Gestagene (Von Wolff 2013, Frauenarzt 2003)

Ovulationshemmdosis und Transformationsdosis der Gestagene Partialwirkungen der Gestagene (Von Wolff 2013, Frauenarzt 2003)

  • Kombinierte Kontrazeptiva erhöhen das VTE-Risiko signifikant. Dies gilt explizit auch für die parenteralen Anwendungen (Vaginalring, Verhütungspflaster).
  • Insgesamt ist das VTE-Risiko bei niedrigdosierten Präparaten (weniger als 50ug EE) im Low-Risk-Kollektiv gering.
  • Vor Verordnung von kombinierten Kontrazeptiva soll eine individuelle Erhebung des VTE-Risikos erfolgen (à SGGG Checkliste). Bei erhöhtem VTE-Risiko sollen kombinierte Kontrazeptiva nicht angewendet werden.
  • Bei Frauen mit erhöhtem VTE-Risiko können Gestagenmonopräparate angewendet werden (Ausnahme Depot-MPA, NETA-Präparat).
  • Die Risiko-Erhöhung ist abhängig vom enthaltenen Gestagen sowie der Östrogendosis (Pillen mit EE über 30ug höheres VTE-Risiko).
  • Die Reduktion der EE-Dosis von 30ug auf 20ug reduziert das VTE-Risiko aber nicht.
  • Je nach Gestagen unterscheidet sich das VTE-Risiko, wobei Gestagene der 2. Generation (LNG) gegenüber jenen der 3. (DSG, Etonogestrel, Gestoden, Norelgestromin, Norgestimat) und 4. Generation (DRSP u.a.) sowie gegenüber anderen/unklassifizierten Gestagenen (CPA, CMA) ein günstigeres Risikoprofil aufweisen (s. Tabelle oben).
  • Das VTE-Risiko ist bei Neustarterinnen (v.a. erste 3 Monate) und Wechsel (mit Pause von mehr als 4 Wochen) des Präparats besonders erhöht. Deshalb bei gut eingestelltem Präparat (auch wenn 3. Generation oder sonstige Gestagene) Wechsel nur zurückhaltend vornehmen.
  • Das VTE-Risiko ist unter Kombi-Präparaten im Schnitt um den Faktor 2-5 erhöht. Demgegenüber ist das VTE-Risiko in der Schwangerschaft/Stillzeit um den Faktor 4-8 erhöht.
  • Bei Patientinnen mit Risikofaktoren (insbesondere BMI über 30 Kg/m2, Alter über 35 J, Nikotinabusus, positive Familienanamnese für VTE) ist das Risiko höher.
  • Mehrere Risikofaktoren haben einen kumulativen Effekt auf das VTE-Risiko.
  • Zoely® hat ein mit LNG/EE-Pillen vergleichbar niedriges VTE-Risiko.
  • Qlaira® und Drovelis® haben wahrscheinlich kein erhöhtes Risiko im Vergleich zu 3. Generationspillen (Studien laufen).
  • Gestagenmonopräparate weisen kein erhöhtes Thromboembolie-Risiko auf, ausgenommen ist die die 3-Monats-Spritze (Depot-MPA) und das Primolut® (da östrogene Partialwirkung von Norethisteron).

S3 Leitlinie Hormonelle Empfängnisverhütung, 2020

  • Kombi-Präparate erhöhten nicht nur das VTE- sondern auch das arterielle Thromboembolierisiko (cerebrovaskulärer Insult CVI, Herzinfarkt AMI).
  • Risikofaktoren sind mit jenen der VTE-Risiken vergleichbar, wobei das Alter (über 35 J, Nikotinabusus, erhöhtem BMI) stark zu gewichten ist.
  • Im Gegensatz zum VTE-Risiko steigt das Risiko für zunehmender Östrogendosis und Präparate der 3. Generation haben kein erhöhtes Risiko im Vergleich zu jenen der 2. Generation.
  • Einnahmeschema

Der Gynäkologe 2019

  • Langzyklus: Hormongabe für >28 Tage (siehe oben)
    • Vorteil bei zyklusabhängigen Beschwerden (Migräne, Endometriose, Uterus myomatosus , PMS, Hyperandrogenismus bei PCOS)
    • Schema nach individueller Präferenz ebenfalls möglich
    • Hinweis: Initial Blutungsstörungen/ Spotting gehäuft, im Verlauf bei Mehrzahl der Patientinnen Amenorrhoe.
    • Keine Pillenpause/Abbruchblutung nötig.
    • Über off-label-Use aufklären g
  • Kontrazeptive Sicherheit (Pearl-Index, s. Tabelle unten)
  • Möglicher Zusatznutzen (
    • Zyklusregulierung
    • Reduktion zyklus-assoziierter Beschwerden (Dys- und Hypermenorrhoe, zyklische Migräne, PMS-Beschwerden)
    • Antiandrogener Effekt (Reduktion Akne, Hirsutismus, Benefit für Haare und Haut)
    • Prävention von Ovarialzysten
    • Benefit für Knochen
    • Protektiv für Ovarialkarzinom und Endometriomkarzinom
  • Interaktionen
    • Enzym-induzierende/CYP-hemmende Medikamente
    • Emesis/Diarrhoe
    • Hilfreiches Tool: Interaktionscheck von Compendium

S3 Leitlinie Hormonelle Empfängnisverhütung, 2020

  • Nebenwirkungen
    • Häufige harmlose Nebenwirkungen: Brustspannen oder Kopfschmerzen, initiale Blutungsstörung, passagere Gewichtszunahme zur Flüssigkeitseinlagerung

 

  • Risiken
    • Obige Nebenwirkungen
    • Veränderung Blutungsmuster (häufig)
    • VTE-Risiko (venöse Thrombose, Lungenembolie; selten)
    • VTE-Risiko (Herzinfarkt, Schlaganfall/CVI; selten)

 

  • Relative und absolute Kontraindikationen
    • Siehe SGGG Checkliste
    • Augenmerk: Alter über 35 J, Nikotinabusus, Familienanamnese für VTE/ATE, BMI über 30 Kg/m2

 

  • Vorgehen bei vergessener Einnahme/Anwendung

https://www.obsgyn-wiki.ch/gynaekologie/fachliche-weisungen/notfall-kontrazeption

  • Standard-Kombi-Präparat zur Erstverschreibung sofern keine absoluten Kontraindikationen (Thromboembolische und arterielle Risiken): Präparat mit Ethinylestradiol (EE) und Levonorgestrel (LNG, Gestagen der 2. Generation) oder Präparat mit Estradiol (E2) und Nomegestrol.
  • Aufgrund der Peak-Bone-Mass unter 21 Jahren EE-Dosis von 30ug wählen
  • Wunsch nach natürlicher Kombi-Pille: Präparat mit E2/E4 wählen. Cave: Bei Drovelis ist die Datenlage bzgl. VTE-Risiko bisher gut, grössere Studien laufen.
  • Wunsch nach antiandrogenem Effekt: Präparat mit antiandrogenem Gestagen wählen (DNG, DRSP, CMA). Cave: Präparate mit EE/CMA sind nur für Therapie von Androgenisierungssymptomen zugelassen, falls gleichzeitiger Kontrazeptionsbedarf besteht.
  • Wunsch eher androgenem Effekt (Cave: EE/E2 wirkt dennoch antiandrogen): Präparat mit androgenem Gestagen wählen (DSG, LNG, Etonogestrel, Gestoden)
  • Bei unter 18-jährigen muss im Falle von Zoely und Drovelis über den Off-label Use aufgeklärt werden.
  • Häufig verwendete Präparate:
    • Pille mit EE/LNG: Elyfem30® (ab 21 Jahren auch Elyfem20®)
    • Pille mit bioidentischen Östrogenen:
      • E2: Qlaira® (E2/ DNG), Zoely® (E2/Nomegestrol)
      • E4: Drovelis® (E4/DRSP)
    • Antiandrogene Kombi-Pille: Valette® (EE/DNG), Belarina® (EE/CMA), Belara® (EE/CMA), Qlaira® (E2/DNG)
    • Antiandrogene Gestagen-only-Pille: Slinda® (DRSP), Visanne® (DNG, Cave: Nicht zur AC zugelassen)
    • Kombi-Pflaster: Evra® (EE/Norelgestromin)
    • Kombi-Vaginalring: NuvaRing® (EE/Etonogestrel)
    • Gestagen-Only-Pille (POP): Cerazette ® (DSG), Slinda® (DRSP)
    • Gestagen-Implantat: Implanon® (Etonogestrel)
    • IUD: Jaydess® (LNG), Kyleena® (LNG), Mirena® (LNG), Cu-IUD, GyneFix
    • Sehr zurückhaltend einsetzen: Depot-MPA (Depo-Provera®/ Sayana®): Gewichtszunahme, Thromboembolieserisiko, Abnahme Knochendichte, verzögerte Rückkehr Fertilität um bis zu 9 Monate
  • Bei Fragen/komplexen Fällen Rücksprache mit OA/OÄ Hormonzentrum halten (auch telefonisch / via EPIC möglich).
  • Rezept für 3 Monate bei Erstverschreibung oder Präparatewechsel. Falls bekanntes Präparat >Dauerrezept 1 Jahr. Voraussetzung: keine absoluten Kontraindiktionen (SGGG-Checkliste u.a.).
  • Patientin über Red Flags aufklären und instruieren wann Vorstellung empfohlen (Handout SGGG abgeben).
  • Bei Erstverschreibung oder Wechsel des Präparates immer eine Verlaufskontrolle nach 3 Monaten im gynäkologischen Ambulatorium oder Hormonzentrum planen (Verträglichkeit, Nebenwirkungen, neue Risiken).
  • Nachfolgend Kontrollen 1x jährlich im gynäkologischen Ambulatorium oder bei ZuweiserIn.

https://www.who.int/news/item/29-08-2019-new-app-for-who-s-medical-eligibility-criteria-for-contraceptive-use

  • Christoph Keck: Kontrazeption im Langzyklus. Gynäkologe 2019. 52:98–106
  • Hormonelle Empfängnisverhütung, S3 Leitlinie, 2020
  • Mahmoudi et al.: Arzneimittelwechselwirkungen bei oralen Kontrazeptiva. Gynäkologe 2019. 52: 117 - 125
  • Bastos M et al.: Combined oral contraceptives: venous thrombosis. – The Cochrane database of systematic reviews, 2014
  • SGGG, Expertenbrief zum Thromboembolierisiko unter hormonaler Kontrazeption, 2023
  • Swissmedic, In der Schweiz zugelassene hormonale Verhütungsmittel – eine Übersicht, 2017
  • Swissmedic, Kombinierte hormonale Kontrazeptiva (CHC), 2015

Handbuch Familienplanung USZ, Hogg und Merki, 2019

Autor: Angela Vidal / Caroline Dhakal / überarbeitet Marcel Steinmann
Autorisiert: Marcel Steinmann
Version: 17.01.2024
Gültig bis: 17.01.2025