FGM/C (Female Genital Mutilation/Cutting)

29.12.23 - aktualisiert 29.12.23!

02.04.20 - Aktualisiert 02.04.2020

Inhaltsverzeichnis

Weibliche Genitalbeschneidung beinhaltet alle Eingriffe, die vorsätzlich und/oder aus nicht-medizinischen Gründen die weiblichen Genitalorgane verändern, Teile entfernen oder verletzen.  

Die WHO hat 1997 in Abhängigkeit vom Ausmass und der Lokalisation 4 unterschiedliche Formen der weiblichen Genitalbeschneidung definiert.

In der Folge ist eine Subklassifikation erfolgt, um die Vielfalt der Veränderungen noch besser abbilden zu können. Allerdings ist es aufgrund der verschiedenen Zwischenformen und Praxisvarianten im Einzelfall dennoch häufig schwierig, eine genaue Einordnung zu treffen.

Es gibt keinen medizinischen Vorteil der Beschneidung. 

  • Typ I: Partielle oder totale Exzision der äusseren Klitoris und/oder der Vorhaut der Klitoris 

  • Typ Ia: Entfernung der Klitorisvorhaut 

  • Typ Ib: Entfernung der äusseren Klitoris (Glans oder Glans mit teilweise Klitoriskörper) mit/ohne Klitorisvorhaut 

  • Typ II: Partielle oder totale Entfernung der äusseren Klitoris (Glans oder Glas mit teilweise Klitoriskörper) und der inneren Labien, mit oder ohne Entfernung der äusseren Labien 

  • Typ IIa: Ausschliessliche Entfernung der inneren Labien 

  • Typ IIb: Partielle oder totale Entfernung der äusseren Klitoris (Glans oder Glans mit teilweise Klitoriskörper) und der inneren Labien 

  • Typ IIc: Partielle oder totale Entfernung der äusseren Klitoris (Glans oder Glans mit teilweise Klitoriskörper) und der inneren und äusseren Labien 

  • Typ III: Verengung der Vaginalöffnung mit bedeckendem Hautverschluss durch Entfernung der inneren und/oder äusseren Labien, mit oder ohne Entfernung der äusseren Klitoris und das anschliessende Zusammenfügen der Wundränder (auch: Infibulation)

  • Typ IIIa: Entfernung und Vernähung der Labia minora mit oder ohne Entfernung der Klitoris 

  • Typ IIIb: Entfernung und Vernähung der Labia majora mit oder ohne Entfernung der Klitoris 

  • Typ IV: Alle weiteren Praktiken, welche die weiblichen Genitalien schädigen, keinem medizinischen Zweck dienen und anders nicht einzuordnen sind.

  • Dazu gehörig auch das sogenannte „Pricking“ (Durchbohren/Punktion der Klitoriseichel/-vorhaut mit einem spitzen Gegenstand, was in manchen Zusammenhängen als Alternativritual vorgeschlagen wurde, aber ebenfalls Blutungen und anderen Komplikationen hervorrufen kann und in der Schweiz ebenfalls verboten ist)

  • Ein professionelles Auftreten und eine respektvolle Behandlung der Patientinnen hat erste Priorität, denn sie eine Stigmatisierung der Patientinnen muss unbedingt vermieden werden, auch wenn das Thema auch bei den Untersuchenden möglicherweise heftige Gefühle hervorrufen kann.

  • Daher kann es helfen, das Thema bereits bei der Anamnese-Erhebung bereits anzusprechen, dies z. B. im Rahmen der Menstruations-, Sexual- oder Reproduktionsanamnese («Sie kommen aus einem Land, wo viele Frauen von Beschneidung betroffen sind..», «Haben Sie schon einmal mit einer medizinischen Fachperson darüber gesprochen?»). 

  • In der Kommunikation möglichst von «Beschneidung» und nicht von «Verstümmelung» sprechen. 

  • Es gibt Frauen, die nicht wissen, ob sie beschnitten sind oder sich nicht an die Beschneidung erinnern können. Nicht jede Frau ist von Komplikationen betroffen.  

  • Oft hilft es, die Situation per Skizze mit der Patientin zu besprechen. Während der Untersuchung kann eine Visualisierung mittels Handspiegel helfen. 

  • Untersuchung durch eine Frau! 

  • In der Schwangerschaft möglichst Zuweisung vor 16. SSW, Defibulation planen um 20.-26. SSW. 

  • Abgabe von Infoflyer und Adresse Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz: www.maedchenbeschneidung.ch.  

  • FGC in die Diagnoseliste aufnehmen, nach Möglichkeit mit korrekter Klassifikation nach WHO. 

  • Bei Wunsch nach Defibulation und/oder Klitorisrekonstruktion RS Ansprechpartner siehe unten und entsprechendes Aufgebot. 

  • Sorgfältige Anamnese, dies nach Möglichkeit mit einer Multiplikatorin (Der entsprechende Kontakt kann via https://www.maedchenbeschneidung.ch/netzwerk/multiplikatorinnen hergestellt werden): 

    • Typ der Beschneidung 
    • Alter zum Zeitpunkt der Beschneidung 
    • Mögliche Komplikationen (Beachten: Der Frau ist oft nicht bewusst, dass ihre Beschwerden mit der Beschneidung in Zusammenhang stehen) 
    • Probleme der Sexualität 
    • Einstellung der Patientin und ihres Ehemannes bezüglich FGC
  • Schematische Darstellung der Anatomie, anhand von Skizzen 

  • Untersuchung mit Virgospekulum, ggf. Rektalschall 

  • Option Defibulation ansprechen, insbesondere bei: 

  • Unmöglichkeit von PAP-Abstrichen 

  • Curettage bei Fehlgeburt oder Interruptio 

  • Schwierigkeiten beim Wasserlassen 

  • Erschwerter Geschlechtsverkehr 

  • Schwere Dysmenorrhoe 

  • Rezidivierende Infektionen 

  • Einschlusszysten 

Schwangerschaft und Geburt 

  • Schwangerschaft mit Vorstellung Spezialsprechstunde (IKA/SAR) möglichst vor der 16. SSW 

  • Defibulation möglichst um 20.-26. SSW planen (dies vor dem Hintergrund des Risikos eines Spontanaborts im ersten Trimenon). 

  • Besprechen, ob und dass allenfalls eine Episiotomie notwendig werden kann unter der Geburt bei stark vernarbter Vulva à grundsätzlich gelten dieselben Indikationen für Episiotomie unter der Geburt wie bei nicht beschnittenen Frauen! 

 

Peripartales Vorgehen: 

  • Ist in der Schwangerschaft eine Vorstellung in der Vulva-Sprechstunde erfolgt? 

  • Ja: dem festgelegten Procedere folgen

  • Nein: Ist die Frau infundibuliert? 

  • Ja: Wenn möglich, Hinzuziehen von OÄ/ OA aus der Vulva-Sprechstunde. Falls nicht möglich, mit der Patientin besprechen, dass unter der Geburt eine Defibulation erfolgen muss und dass anschliessend keine Refibulation vorgenommen wird. 

  • Defibulation: immer unter PDA oder Lokalanästhesie vornehmen, möglichst zu Beginn der Eröffnungsperiode 

  • Evtl. Defibulation auch im Falle einer sekundären Sectio erwägen

  • Dokumentation im Geburtsbericht 

Nach intrapartaler Defibulation:

  • Ansprechen der veränderten Anatomie und Physiologie im Wochenbett  

  • Geburtsnachsorge: 3-4 Wochen nach Geburt in der Vulva-Sprechstunde (Termin vor Austritt organisieren) 

  • Präventionsgespräch im Falle der Geburt eines Mädchens: Frage nach älteren Schwestern, Aufklärung über Rechtslage in der Schweiz

  • Hinweis auf Website von maedchenbeschneidung.ch: https://www.maedchenbeschneidung.ch/ 

  • Vulvasprechstunde/Operatives Vorgehen: Julia Goldstein, Claudia Foltys, Corina Christmann. 

  • Kinder- und Jugendgynäkologie (Mädchen bis 18 Jahre): Lea Schumpf, Nathalie Werth, Sandra Shavit (Kinderchirurgie KISPI). 

  • CARITAS: Rechtliche Fragen 

    • Frau Denise Schwegler, Frau Simone Giger  

beratung@maedchenbeschneidung.ch

Telefonnummer: 041-4192355 

  • E.L.B.E: Psychosoziale Beratung: Anfrage bezügl Ansprechpartnerin ausstehend. 

 

Autor: Dr. Julia Goldstein
Autorisiert: Prof. Dr. Christine Brambs
Version: VIII

aktualisiert am: 29.12.2023