Schilddrüsenerkrankungen in der Schwangerschaft
25.05.21 - Latente Hypothyreose: TSH oberhalb des oberen Referenzbereichs bei normalen Werten für fT3 und fT4
29.10.20 - Schema TSH mit LINK eingefügt
- Begriffe und Abkürzungen
- Definition von Schilddrüsenfunktionsstörungen
- Schilddrüse und Schwangerschaft
- Screening-Indikation
- Diagnosealgorithmus
- Hypothyreose
- Hyperthyreose
- Postpartum Thyreoiditis (PPT)
- Plazentaschranke und Schilddrüse
- Nabelschnurblutbestimmung postpartal
- Symptome beim Neugeborenen
- Literatur
TSH: Thyroidea-stimulierendes Hormon oder Thyreotropin
fT4: freies Thyroxin
TPO-AK: Thyreoperoxidase-Antikörper
TRAK: Antikörper gegen TSH-Rezeptor der Thyreoidea-Drüsenepithelzellen
Latente Hypothyreose: TSH oberhalb des oberen Referenzbereichs bei normalen Werten für fT3 und fT4
Manifeste Hypothyreose: TSH oberhalb und fT4 unterhalb des Referenzbereichs
Latente Hyperthyreose: TSH erniedrigt bei Normalwerten für fT3 und fT4
Manifeste Hyperthyreose: TSH erniedrigt bzw. nicht mehr nachweisbar, bei erhöhten Werten für fT3 und/oder fT4
Hypothyroxinämie: TSH normwertig und fT4 5.–10. Perzentile des Referenzintervalls
Euthyreose: sämtliche Schilddrüsen-Parameter innerhalb des Referenzbereichs
Physiologie
- In der Schwangerschaft kommt es zu einem deutlichen Mehrbedarf an maternalen Schilddrüsenhormonen
- Durch Hämodilution kommt es zu einem grösseren Verteilungsvolumen und zusätzlich muss die fetoplazentare Einheit versorgt werden.
- Durch ansteigende Östradiolspiegel auch Anstieg des Thyroxin-bindenden Globulins (TBG) und somit Abfall der freien SD-Hormone im Blut.
- Bis zur 12. SSW steigt der Bedarf um etwa ein Drittel, bis zur Mitte der Schwangerschaft um etwa 50%
- Im 1. Trimenon stimuliert das stark erhöhte HCG den TSH-Rezeptor; dadurch steigen die fT3/fT4 Spiegel und gleichzeitig sinkt das TSH transient leicht ab.
- Im 2. Trimenon erneuter Anstieg der TSH-Werte durch die fallenden HCG Spiegel.
Trimersterspezifische Normwerte:
Normbereich
TSH basal 0.16-4.25mlU/L
1. Trimenon < 4.0mlU/L
2. Trimenon < 4.2mlU/L
3. Trimenon <4.2mlU/L
- In der Schwangerschaft Zunahme des täglichen Jodbedarfs auf 200-300 µg (eine Nicht-Schwangere hat ein Bedarf von 150µg).
- Erhöhte renale Jodverluste (durch gesteigerte glomeruläre Filtration).
- Kontraindikation für Jodgabe: Hyperthyreose (M. Basedow bzw. Autonomie) und/oder signifikant erhöhte TRAK-Titer.
- Ab der 12. SSW kann die fetale Schilddrüse selbständig Hormone
Duale Regulation der Schilddrüsenfunktion in der Schwangerschaft
- Es ist kein generelles Screening empfohlen.
- Die indizierte Blutentnahme erfolgt idealerweise bei Feststellung der Schwangerschaft, optimal nicht später als in der 4.-6. SSW.
Indikation für TSH, fT4 bei:
- Frauen in Jodmangelgebieten
- Alter > 30 Jahre
- > 2 vorangegangene Schwangerschaften
- Schilddrüsendysfunktion in Anamnese
- Familienanamnese mit Schilddrüsendysfunktion
- Zustand nach Radiatio oder Operation im Halsbereich
- Abort oder Frühgeburt in der Vorgeschichte, Infertilität
- Amiodaron- oder Lithiumeinnahme, (kürzliche) Exposition mit jodhaltigem Kontrastmittel
- DM Typ 1 oder andere Autoimmunerkrankungen
- Symptome einer Hypo-/Hyperthyreose
- Struma
- BMI > 40 kg/m
- Schilddrüsenantikörpernachweis in der Vergangenheit
zusätzlich TPO-AK bei:
- unerfüllter Kinderwunsch/langjähriger Kinderwunsch
- bekannte erhöhte TPO-AK
- Hypothyreose
zusätzlich TRAK-AK bei:
- Hyperthyreose
- St. n. Radiojodtherapie, St.n. Schilddrüsenoperation, anamnestisch Kind mit neonataler Hyperthyreose
zusätzlich Tg-AK bei:
- Hyper- oder Hypothyreose als zusätzliche Information
Häufigkeit in der Schwangerschaft
- Manifeste Hyperthyreose 0,4%
- Latente Hypothyreose 3-10%
Ätiologie
- Autoimmunthyreoiditis: Hashimoto-Thyreoiditis
- St.n. Thyreoidektomie oder Radiojodtherapie
- Extremer Jod oder Selenmangel
- Medikamentös induziert (z.B. Amiodaron, Lithium)
- Kongenital (z.B. angeborene Defekte in der SD-Hormon-Biosynthese)
Symptome/Klinik
- Leistungsminderung, Gedächtnisminderung, Schwäche, Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Kälteempfindlichkeit, Gewichtszunahme trotz Appetitlosigkeit
- depressive Stimmung, trockene bzw. raue Haut, brüchiges Haar, Haarausfall
- raue Stimme, Obstipation, geschwollene Augenlider/Gesicht
- Bradykardie, verminderte RR-Amplitude
- Hyporeflexie
- Vor Schwangerschaft sekundäre Amenorrhö oder Zyklusstörungen
Diagnose
- TSH basal > schwangerschaftsspezifischen Normwert und fT4 erniedrigt
- Erhöhte TPO-Antikörper bei Hashimoto-Thyreoiditis
Risikoerhöhung
- Fehlgeburt
- Frühgeburtlichkeit
- niedriges Geburtsgewicht
- schwangerschaftsinduzierte Hypertonie
- Gestationsdiabetes
- Präeklampsie
- verminderte kindliche Intelligenz
- fetale Missbildungen
Latente Hypothyreose und Zusammenhang zu ungünstigem fetalen Outcome/geburtshilfliche Komplikation
- Widersprüchliche Studienlage hinsichtlich fetalem Outcome, neuere Daten können keinen Zusammenhang zwischen latenter Hypothyreose und o.g. Schwangerschaftskomplikationen aufzeigen.
- Im TSH-Bereich von 2,5 bis 4,2 mU/l gibt es keine Einschränkung der kindlichen Entwicklung
- Gewisse Studien konnten zeigen, dass bei TPO-positiven Schwangeren das hCG im ersten Trimenon zu einem deutlich geringeren Anstieg der fT4-Serumkonzentration und damit zu einer potenziellen Unterversorgung des Feten führt.
- Bestimmung TPO-AK und Therapie je nach Resultat (siehe unten).
Therapie
- Manifeste Hypothyreose
- Vorstellung Endokrinologie
- Levothyroxin (Eltroxin®-LF, Euthyrox®), meist Therapiebeginn mit 50 µg/d
- Einnahme 20-30 min vor dem Frühstück auf nüchternen Magen
- Bei vorbestehender Hypothyreose ab positivem Schwangerschaftstest Dosiserhöhung um ca. 30-50% (z.b. am Wochenende doppelte Dosis). Weitere Dosisanpassung entsprechend TSH (Zielwert <2.5 mIU/l).
- Kontrolle alle 4 Wochen bis stabil, danach alle 6 Wochen
- behandelte SD-Erkrankungen brauchen kein zusätzliches Jodid
- Postpartum: Reduktion der fT4-Substitution auf Werte vor der Schwangerschaft mit TSH-Messung 4-6 Wochen p.p., CAVE: Postpartum-Thyreoiditis!
- Latente Hypothyreose
- Therapie zwingend wenn TPO-AK positiv und TSH über Referenzbereich, oder TPO-AK negativ und TSH > 10mU/l
- Therapie optional
- TPO-AK negativ und TSH 4.2-9.9 mU/L
- Therapie nicht indiziert wenn TPO-AK negativ und TSH innerhalb Referenzbereich
- Bei TPO-AK positiv und TSH innerhalb 2.5 mU/l-4.2 mU/l ist gemäss neuesten Daten (Dong et al., 2020) eine Therapie nicht mehr indiziert
- Die Therapie eines hochnormalen TSH (> 2.5 mU/l) ist nicht notwendig!
- Besteht jedoch die Indikation zur Therapie, dann Zielwert TSH < 2.5 mU/l.
Häufigkeit in der Schwangerschaft
- Manifeste Hyperthyreose 0.1-0.4%
- Latente Hyperthyreose 4%
Ätiologie
- M. Basedow
- Funktionelle Schilddrüsenautonomie (toxisches Adenom, Struma multinodosa)
- Hyperemesis gravidarum/ Schwangerschaftsassoziierte Hyperthyreose (selbstlimitierend)
- Iatrogen: Einnahme von Schilddrüsen-Hormonen bzw. Jod, jodhaltige Röntgenkontrastmittel, Amiodaron
- Passager im Rahmen einer de Quervain Thyreoiditis oder Hashimoto-Thyreoiditis
- Schilddrüsenkarzinom, Blasenmole, Chorionkarzinom (sehr selten)
Symptome/Klinik
- Nervosität, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Heisshunger, Gewichtsverlust
- Wärmeintoleranz, Schwitzen, erhöhte Stuhlfrequenz
- Herzklopfen, Belastungsdyspnoe, diffuser Haarausfall
- Muskuläre Schwäche (v.a. Oberschenkel), gesteigerte Ermüdbarkeit
- Exophthalmus (in 60% bei M. Basedow), Struma (diffus oder knotig)
- Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, arterielle Hypertonie, Hyperreflexie, Tremor
Diagnose
- TSH basal < 0,1 mIU/ L und fT4 erhöht
- M. Basedow: positive TRAK
- Ermöglicht Abgrenzung zur «Schwangerschafts-Hyperthyreose» im 1. Trimenon (durch hCG-Effekt), hier TRAK negativ
- Ultraschall: Schilddrüse vergrössert, inhomogen, echoarm, im Doppler verstärkte Durchblutung
- Auskultatorisch Schwirren über Struma
- Ggf. Feinnadelpunktion/ Zytologie zur weiteren Abklärung
Risikoerhöhung
- Abort, IUFT
- Frühgeburtlichkeit
- IUGR
- perinatale Morbidität und Mortalität
- fetale Herzinsuffizienz
- Präeklampsie, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie
- thyreotoxische Krise
Latente Hyperthyreose: kein erhöhtes Risiko für Komplikationen
Therapie
- M. Basedow
- Vorstellung Endokrinologie
- 1.Trimenon: Propylthiouracil (PTU) 50-200mg 3x/d, CAVE: fulminante Hepatotoxizität!
- 2./3. Trimenon: Carbimazol 5-30mg 1x/d, CAVE: Risiko von Malformationen (Aplasia cutis, Ösophagus- od. Rektusatresie)
- Ziel: minimale Thyreostatika-Dosis, fT4 am oberen Referenzbereich (18-20pmol/l), TSH darf supprimiert bleiben
- Kontrolle fT4 alle 2-4 Wochen, bei Erreichen der stabilen Phase alle 4-6 Wochen
- Kontrolle TRAK im 1.Trimenon und in der 22.–26. SSW bei neudiagnostiziertem M. Basedow, jedoch auch bei St. n. Radiojodtherapie, St.n. Schilddrüsenoperation, anamnestisch Kind mit neonataler Hyperthyreose
- Thyreostatika plazentagängig, daher regelmässige sonographische Kontrollen des Feten (Herzfrequenz, Wachstum, fetale Schilddrüsengrösse)!
- Definitive Therapien selten notwendig: Radiojodtherapie kontraindiziert in der Schwangerschaft, Thyreoidektomie falls PTU > 450mg/d oder Carbimazol > 30mg/d, Unverträglichkeit auf beide Thyreostatika, OP am besten im 2. Trimenon.
- Schwangerschaftsinduzierte Hyperthyreose
- Beta-Blocker zur kurzzeitigen symptomatischen Therapie z.B. Propranolol 20–40 mg alle 4–6 h
- keine Langzeitgabe wegen Gefahr intrauteriner Wachstumsretardierung, fetaler Bradykardie und neonataler Hypoglykämie.
- latente Hyperthyreose: keine Therapie indiziert
- Wochenbett: häufig Rezidiv, typischerweise vier Monate nach Entbindung
- Spezialsituation: Euthyreose mit persistierend erhöhten TRAK-Titer. Diese gehen ungehindert durch Plazentaschranke und können beim Feten eine Hyperthyreose machen mit schwerwiegenden Komplikationen. Daher vor Konzeption medizinische Interventionen evaluieren (z.b. Thyreoidektomie).
Häufigkeit
- Prävalenz: nach 5-8% aller Schwangerschaften, (hohe Variabilität in den Studien, 1-16.7% )
- Bei Diabetes mellitus Typ 1: 3-4 faches Risiko für PPT
Klinik
- Destruktions-Hyperthyreose: Unterform chron. Autoimmun-Thyreoiditis
- TPO-AK meist positiv
- Euthyreose vor- und während der Schwangerschaft
- Auftreten innerhalb des 1. Jahres nach Geburt
- Hyperthyreote Phase meist innerhalb der ersten 2-6 Monate nach Geburt
- Wahrscheinlichkeit erneuter PPT bei weiteren Schwangerschaft: 70%
Therapie
- Keine kausale Therapie, Thyreostatika unwirksam
- Evt. symptomatische Betablocker-Gabe in hyperthyreoter Phase
- Substitution bei manifester hypothyreoter Phase
- TSH Kontrolle alle 4-8 Wochen
- Bei T4- Substitution: evt. Absetzversuch nach 12 Monaten postpartal unter TSH- Kontrollen
Cave: partielle Inaktivierung T4 in rT3 und T3 in T2 via Deiodinase Typ III
CAVE: keine Bestimmung von TPO-AK in der Nabelschnur, dies gilt als obsolet
Zeichen für Hyperthyreose/Thyrotoxikose:
- Tachykardie/Arrhythmie, Tachypnoe, Hyperthermie Unruhe, Zittrigkeit, Schwitzen, Struma, Diarrhö, Dehydratation, Gedeihstörung, Hyperbilirubinämie, Kraniosynostose, Wachstumsretardierung
Zeichen für Hypothyreose beim Neugeborenen:
- muskuläre Hypotonie, Trinkschwäche, Obstipation, grosse Fontanellen, Makrosomie, Myxödem, Hyperbilirubinämie, Bradykardie, Markoglossie, Nabelhernie, kühle und trockene Haut
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Autor: L. Gabriel, V. Uerlings
Visiert: V. Uerlings
Version: 16.12.2020
Gültig bis: 31.12.2024