Miktionsstörung postpartal: Erkennen und Behandeln

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen

BBZ: Beckenbodenzentrum
BES: Blasenentleerungsstörung
CISC: clean intermittent self-catheterization
DK: Dauerkatheter
NSAR: Nicht Steroidale Antirheumatika
PDA: Periduralanästhesie
RF: Risikofaktoren
SA: Spinalanästhesie
SG: Spontangeburt
WB: Wochenbett

Definition

Ausbleiben der Spontanmiktion nach 4-6 h

Prävalenz und Entstehung der postpartalen Blasenentleerungsstörung

  • Insgesamt selten, ca. 0.7 bis 4 % aller Geburten (1)
  • Ab 3. SS-Monat Reduktion des Blasentonus mit Erhöhung der Kapazität (2)
  • Progesteron hat hemmenden Effekt auf die Kontraktilität des Detrusors (2)
  • Die peripartale Harnblase hat die Tendenz träge zu sein (1)
  • Langes Stehen des kindlichen Kopfes am und im Becken kann zu Läsionen von Nerven des Plexus hypogastricus inferior (parasympathische Innervation und somit verantwortlich für Kontraktion des Detrusors bzw. Blasenentleerung) führen (3)
  • Nicht rechtzeitiges Erkennen einer postpartalen Blasenentleerungsstörung kann zur Überdehnung des Detrusors, Denervierung und irreversiblen Schäden bzw. Blasenentleerungsstörung mit Bedarf nach kontinuierlicher Harnableitung bzw. Selbstkatheterismus (CISC) führen (2)

Ursachen und Risikofaktoren

  • Protrahierte Geburtsverläufe (2, 4, 7), > 700 min (7)
    • Nulliparität (2, 6)
  • Rückenmarksnahe Anästhesie (SA/PDA) (2, 4, 5, 6)
    • Geburtsverletzungen mit vulvärem/urethralem Ödem (2, 4, 6)
  • Vaginal-operative Entbindungen (2, 4, 5, 6, 7)
    • Grosses Kind, besonders: grosser Kopfumfang
    • Harnwegsinfektionen
    • Vorbestehende neurologische Erkrankungen (z.B. Multiple Sklerose), langjährig schlecht eingestellter Diabetes mellitus
    • Einnahme von Psychopharmaka, z.B. Antidepressiva, Diazepam (könnten Restharnmengen erhöhen)
    • Psychogen

Prävention bzw. Identifikation der Risikopatientin

  • Anamnese mit Erfassung aller Risikofaktoren, Antizipieren eventueller Probleme
  • Überwachung der Harnblasenfunktion sub partu (falls keine PDA und DK): auf regelmässige (ca. 3-4 stündliche) Blasenentleerung achten, je nach Trink- bzw. Infusionsmenge
  • Füllmengen von 600-max. 800ml nicht überschreiten
  • Wenn möglich protrahierte Verläufe bei grossem Kind und PDA vermeiden und nach protrahiertem Verlauf die Blasenentleerungsstörung postpartal nicht verpassen.
  • Bei Versorgung höhergradiger Dammrisse im OP nach SG (kann z.T. Stunden dauern und oft kein DK von der Geburt): präoperativ, wie bei manueller Lösung/Nachcurettage 1x Katheterisieren oder DK legen, falls Spinalanästhesie.
  • Bei Paraurethralriss: DK für 48 h legen und NSAR fix für 3d zum Abschwellen

Monitoring der Blasenentleerung postpartal

Erster Miktionsversuch vor Verlegung aus dem Gebärsaal.


Nach vaginaler Entbindung ohne / mit PDA oder Spinalanästhesie:

Die Patientin sollte innerhalb 2-3 Stunden problemlos spontan miktioniert haben. Eine Restharnmessung ist nicht nötig, wenn keine Risikofaktoren bestehen und die Patientin keine Probleme angibt (stark verlangsamter Harnstrahl, Restharngefühl, Inkontinenz (CAVE Überlaufinkontinenz)) (6). Explizit danach fragen. Im Zweifel RH-Bestimmung (Sono oder CISC).


Nach Sectio :

erfolgt die Katheterentfernung, wenn die Patientin gut mobil ist, in der Regel am 1. Postoperativen Tag (4-6 h nach elektiver Sektio, nach sec. Sectio evtl. auch später); auch hier sollte die Patientin innerhalb 2-3 Stunden spontan miktioniert haben.

Ist die Miktion nach 3 Stunden nicht möglich, muss von einer Blasenentleerungsstörung ausgegangen werden.

Vorgehen bei manifester Blasenentleerungsstörung im Wochenbett

1. Ermittlung des Blasenfüllvolumens sonographisch
a.) Falls > 250ml →Einmalkatheterismus
b.) Falls < 250ml → 2 h zuwarten, Analgesie, ausreichende Trinkmenge
c.) Falls Miktion erneut nicht möglich → sonographische RH-Kontrolle → weiter bei a.) falls RH > 250ml
d.) Falls RH nach 6 Stunden pp immer noch < 250ml Nierenfunktion überprüfen

Für gute Analgesie und Darmregulation sorgen

    2.Falls 2 h nach Einmalkatheterismus bei normaler Trinkmenge erneut Spontanmiktion nicht möglich →Einlage eines DK für 48 h ohne Abklemmen

    3. Entfernen des DK in RS mit Wochenbettarzt. Anschliessend sonographische Restharnbestimmung nach Spontanmiktion (Miktionsvolumen bestimmen) → 1x RH < 150 ml (WICHTIG Relation zum Miktionsvolumen) → keine weiteren Massnahmen

    4.Bei persistierender Blasenentleerungsstörung (RH > 150ml oder Spontanmiktion nicht möglich) →ad Beckenbodenzentrum zur Besprechung einer Dauerableitung vs. Selbstkatheterismus (falls Patientin am Wochenende austreten will: DK für 7 Tage, Nachuntersuchung in 1 Woche im BBZ, Anmeldung durch Pflege)

    5.Kontrolle in 1 Woche im Beckenbodenzentrum mit Uroflow

    6.Falls weiterhin Blasenentleerungsstörung dann Diskussion CISC ev. mit Tamsulosin (Pradif T®) 400 mcg 1x tgl (falls die Patientin nicht stillt)


    Der Austrittszeitpunkt ist sekundär (die Kosten der Therapie einer manifesten BES sind weitaus höher als ev. zusätzliche Hospitalisationstage)

     

    Die sonografische Restharnbestimmung kann nach Absprache / Delegation durch geschultes Pflegepersonal erfolgen. Die Erfassung der Abrechnung der Tarifposition im ibicare erfolgt durch die Pflege, als Erbringer wird der Arztdienst erfasst. 

      Literatur

      1. Kearney R, Cutner A. Postpartum voiding dysfunction. The Obstetrician & Gynaecologist 2008;10:71-74.
      2. Ching-Chung L et al. Postpartum urinary retention: assessment of contributing factors. Aust NZ J Obstet Gynaecol, 2002.
      3. Quinn M. Obstetric denervation-gynaecological reinnervation: disruption of the inferior hypogastric plexus in childbirth as a source of gynaecological symptoms. Med Hypotheses. 2004;63(3):390-3.
      4. Zaki M et al. National survey for intrapartum and postpartum bladder care: assessing the need for guidlines. BJOG; 111, pp. 874-876.
      5. Michael E et al. Factors that are associated with clinically overt postpartum urinary retention after vaginal delivery. AJOG; Volume 187, Issue 2, Pages 430-433.
      6. MacLean AB et al. Incontinence in Women. London: RCOG Press; 2002.
      7. Kekre AN et al. Postpartum urinary retention after vaginal delivery. Int J Gynaecol Obstet. 2011 Feb: 112(2):112-5.

      Autor: S. Verta, C. Christmann, B. Koller
      Version: 07.08.2018
      Autorisiert: A. Winkler
      Gütlig bis 31.12.2024