Gestationsdiabetes

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungen

BMI         =         Bodymassindex
BZ          =         Blutzucker
GDM      =         Gestationsdiabetes
HPL        =         humanes Plazentalaktogen
HWI        =         Harnwegsinfekt
IUFT        =         Intrauteriner Fruchttod
oGTT     =         oraler Glucosetoleranztest
PCO       =         polycystisches Ovar
SS          =         Schwangerschaft

Definition

Erstmalig in der Schwangerschaft diagnostizierte Glucosetoleranzstörung. Die Definition ist unabhängig von der Insulintherapie und schliesst weder eine zuvor vorhandene nicht diagnostizierte, noch eine nach der Schwangerschaft persistierende Glucosetoleranzstörung aus.

Epidemiologie

5-10% aller Schwangeren, weltweit zunehmend

Pathophysiologie

Normalerweise ist der Blutzucker in der SS 10-20% niedriger, zudem ist in der ersten SS-Hälfte die Insulinsensitivität gesteigert (Lipolyse gebremst). In der zweiten SS-Hälfte zunehmende Insulinresistenz durch Plazentahormone(HPL, Prolaktin), ausserdem ist die Lipolyse gesteigert, BZ pp leicht erhöht (130-140 mg/dl). Pankreatische Insulinantwort reicht nicht mehr aus.

Bedeutung für die Mutter

  • Indikator für Entwicklung eines späteren Diabetes (25-50% der Patientinnen entwickeln nach 5-15 Jahren einen manifesten Typ-2-Diabetes)
  • Erhöhte Infektanfälligkeit (v.a. HWI)
  • Höheres Risiko für hypertensive Erkrankungen (schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsie)
  • Häufiger vaginal operative Entbindung
  • Rezidiv GDM 50%!

Bedeutung für das Kind

  • Diabetische Fetopathie (Makrosomie, Polyhydramnion, verzögerte Lungenreifung, Azidose- Kardiomyopathie)
  • IUFT
  • Neugeborenes: Hypoglykämie, Hypocalcämie,  Hyperbilirubinämie
  • Perinatale Mortalität (bei erkanntem GDM 0,7%, bei unerkanntem GDM 20%, bei unerkanntem insulinpflichtigen GDM 30%)
  • Adipositas und Diabetes im späteren Leben

Screening auf GDM

Glucosurie, nüchtern BZ, random BZ, 50g oGTT, HbA1c  und Fructosamin sind zu wenig sensitiv.                                       

Es wird ein oGTT mit 75g Glukose (auf 300ml gekühltes Wasser mit ein wenig Zitronensaft) bei allen Schwangeren zwischen der 24. - und 28. SSW durchgeführt.

Bei Risikofaktoren wird dieser 75g-oGTT bereits im Rahmen des I. Screenings durchgeführt (bitte bei Anmeldung aus dem gynäkologischen Ambulatorium beachten).

Risikofaktoren

  • BMI > 30 kg/m2
  • Status nach GDM
  • Status nach Geburt eines Kindes > 4000g
  • Status nach IUFT
  • Kind mit einem Neuralrohrdefekt
  • PCO
  • Therapie mit Kortikosteroiden
  • Ethnie: aus Indien, Pakistan, Bangladesh, Lateinamerika, Ägypten, Libanon, Türkei, Araber
  • Habituelle Aborte
  • Glucosurie einmalig ++ oder zweimalig +

Bei unauffälligem Test wird der oGTT in der 24. - 28. SSW wiederholt.

Sollte sich bei regulärem unauffälligem oGTT im späteren Verlauf doch der Verdacht eines GDM ergeben (z.B. bei Polyhydramnion, Makrosomie etc.) kann der oGTT wiederholt werden.

Voraussetzungen für den oGTT:

  • Normale körperliche Aktivität an den Tagen vor dem Test (keine schweren körperlichen Arbeiten oder Sport)
  • Reichliche Kohlenhydratzufuhr (z.B. Teigwaren, Reis Kartoffeln, Brot) während 2 Tagen vor der Belastung
  • Nüchternperiode vor dem oGTT von mindestens 8 Stunden, keine Medikamente, keine Kaugummis usw, kein Rauchen, mässig Wasser ist erlaubt
  • keine grösseren Aktivitäten am Tag des Tests
  • Mindestens 5 Tage nach Induktion der Lungereife
  • Frühestens 24 Stunden nach Gynipral stopp

Durchführung des oGTT

  1. Entnahme des Blutzuckers nüchtern und venös, keinesfalls kapillar mit Handmessgerät
  2. Trinken der Glucoselösung (75g Glucose auf 300ml kühles Wasser mit ein wenig Zitronensaft) innert 5 Minuten
  3. Entnahme des Blutzuckers (venös) nach 1 Stunde
  4. Entnahme des Blutzuckers (venös) nach 2 Stunden
  5. Keine körperlichen Aktivitäten während des Tests. Kein Fasten im Vorfeld.
  6. Diagnosestellung GDM bereits bei einem einzigen erhöhten Wert

Grenzwerte (venöses Plasma)

nüchtern

≥ 5,1 mmol/l

nach 1 Stunde

≥ 10,0 mmol/l

nach 2 Stunden

≥ 8,5 mmol/l

Konsequenzen bei neu diagnostiziertem GDM

  1. HbA1c-Bestimmung zur Detektion eines präexistenten Typ-2-Diabetes
  2. Anmeldung in die Diabetologie zur Ernährungs- und Lifestyleberatung. Eine Insulintherapie ist indiziert, wenn innerhalb einer Woche nicht > 90% der Zielwerte erreicht werden. Bei exzessivem Wachstum des Feten ist eine Insulintherapie schon früher zu diskutieren. Ca. 25% der Frauen mit GDM benötigen Insulin. Insulin bleibt Mittel der Wahl. Bei schwieriger Instruktion kann Metformin oder Glibenclamid als Alternative in Erwägung gezogen werden. Sie sind in der CH jedoch gemäss Herstellerinformation in der Schwangerschaft kontraindiziert. 48% der Schwangeren benötigen unter Metformin denoch Insulin.
  3. Blutzucker-Selbstkontrolle bei Ernährungstherapie 4x täglich, bei Insulintherapie 6-7x täglich.
  4. Die Patientin wird alle 1-2 Wochen (in Abwechslung mit der Diabetologie) gesehen werden
  5. Keine Gynipraltokolyse (wenn möglich)

Zielwerte (kapillär)

nüchtern

≤ 5,3 mmol/l

1 Stunde nach der Hauptmahlzeit

≤ 8,0 mmol/l

2 Stunden nach der Hauptmahlzeit

≤ 7,0 mmol/l

Tiefere Zielwerte bei fetalem Abdomenumfang über der Norm in Absprache mit den Diabetologen.

Nüchtern BZ bei Insulinpflichtigkeit: soll über 4 mmol/l sein.

Kontrolle der BZ Werte auch bei den Konsultationen im Schwangerenambulatorium. Falls ≥10% über dem Zielbereich: Insulinerhöhung in Rücksprache mit Diabetologie oder unmittelbare Zuweisung

 

 

Entbindungszeitpunkt

  • diätetisch eingestellter GDM: Keine Indikation zur Geburtseinleitung bei sonst komplikationslosem SS-Verlauf. Rrühestens Einleitung bei 40 0/7
  • bei insulinpflichtigem gut eingestelltem GDM: Einleitung anbieten ab 39 0/7 bis 40 0/7 SSW
  • bei schlecht eingestelltem GDM individueller Entscheid
  • bei komplikationslosem Verlauf Sectio-Indikation und Zeitpunkt wie bei Schwangeren ohne GDM
  • Sectio bei Schätzgewicht > 4250 -4500g diskutieren, Schulterdystokie häufiger als bei Makrosomie ohne GDM

 

 

Management sub partu

  • falls Insulintherapie, Insulin stop und 3-stündliche Glucosemessung kapillär mit dem Handgerät
  • Zielwert 4.4 – 7.8 mmol/l (neonatale Anpassungsstörung, uterine Kontraktilität)
  • Bei Hypoglykämie
  • Bei Hyperglykämie >11 mmol:. Actrapid i.v.: 50% der letzten Tagesdosis des langsamen Insulin : 24 = stündliche i.v. Gabe (Beispiel 30 IE langsames Insulin → 15 : 24 = 0,6 U/h i.v.)

 

 

Management postpartal

  • Stopp Insulin falls GDM. Bei präexistentem insulinpflichtigem Diabetes niemals kompletten Insulinstopp
  • rascher Nahrungsaufbau
  • meist spontane Besserung der Glucosetoleranz im Wochenbett. Um dies zu überprüfen, misst die Wöchnerin nach GDM eigenverantwortlich ein Blutzuckertagesprofil am 2. oder 3. Tag postpartal. Nur präprandiale Werte vor den Haupt-Mahlzeiten. Zielbereich 4 – 7 mmol/l. Bei auffälligen Werten (nü-BZ über 7 mmol/l) Tagesprofil wiederholen; wenn erneut auffällig Konsil Endokrinologie / Diabetologie.
  • Reklassifizierung des Diabetes 6-12 Wochen post partum mit HbA1c-Wert
  • medizinische Nachbetreuung wegen erhöhtem Risiko für DM 2 (jährliche Blutzucker- Kontrolle empfohlen)

 

Referenzen

NICE guideline Diabetes in pregnancy 2020

AWMF S3-Leitlinie Gestationsdiabetes 2018

Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED), Therapeutische Umschau 2009

Fetale Überwachung

Ultraschall

  • GDM diätetisch.: alle 4 Wochen durch den AA, ab 36. SSW 2 wöchentlich
  • GDM insulinpflichtig.: ab 28. SSW alle 2-3 Wochen mit Biometrie  und ggf. biophysikalischem  Profil in der Spezialsprechstunde
  • Doppleruntersuchung ist vor allem bei IUGR zuverlässig
  • Bericht mit Biometrie und CTG an betreuenden Diabetologen

CTG    

  • bei jeglichem GDM ab 38. SSW (ab hier Doppler nicht mehr zuverlässig)
  • bei auffälligem Doppler jederzeit
  • bei ausgeprägter Makrosomie oder IUGR CTG bereits früher. Wegen verminderten fetalen Reserven Indikation zur Schwangerschaftsbeendigung bereits bei suspektem CTG.

Autor: A. Winkler
Autorisiert: M. Hodel
Version: 28.11.2021
Gültig bis 31.12.2022